Die Lebensgeschichte von Parbinder

Parbinder – von der Strasse in die Schule

Parbinder – von der Strasse in die Schule

Dies ist die bisherige Lebensgeschichte von Parbinder. Er ist einer der mittlerweile 35 Jungs im Street- 2-School-Heim (S2S), welches wir im letzten Freundesbriefvorgestellt haben.

Parbinder nimmt uns durch seine Geschichte mit auf seine Reise, die ihn von einem zerbrochenen Zuhause über eine Leben auf der Straße bis in unser S2S Heim geführt hat. Seine Geschichte erlaubt uns einen Einblick in das Leben der Straßenkinder hier in Nepal, steht sie doch stellvertretend für die Geschichte vieler Straßenjungen hier, die ähnliches erlebt haben.

Mein Name ist Parbinder. Meine Eltern nannten mich Madu. Aber Madu ist ein Mädchenname, und welcher Junge möchte schon so heißen wie ein Mädchen? Also habe ich mich umbenannt. Heute bin ich Parbinder. Ich bin zwölf Jahre alt und ich gehe zur Schule. Geboren bin ich in einem Dorf im Hügelland von Nepal. Zu meiner Familie gehörten meine Mutter, mein Vater, meine Großmutter, meine zwei älteren Brüder und ich. Mein Vater hat die Familie ernährt in dem er die Felder anderer Menschen gepflügt hat. Meine Mutter hat ebenfalls als Arbeiterin in den Feldern gearbeitet. Ich kann mich nicht mehr genau an die Gründe erinnern, aber irgendwann ist meine Familie nach Butwal im Süden Nepals umgezogen. Nur meine Großmutter ist im Dorf zurück geblieben. Wir wohnten in der den Slums in der Nähe des Tinau Flusses. Dort wurden mein jüngerer Bruder und meine kleine Schwester geboren. Meine Eltern waren den ganzen Tag als Arbeiter unterwegs, und am Abend tranken sie Rakshi, den lokalen Schnaps. Eines Tages kam eine Flut. Der Fluss trat über die Ufer und meine kleine Schwester starb. Meine Familie war sehr arm, und es gab nicht ausreichend Essen um satt zu werden. Da ich nicht zur Schule gehen konnte, verbrachte ich den ganzen Tag auf der Straße. Irgendwann hat es mein Vater so sehr übertrieben mit dem Trinken dass er starb. Meine Mutter wusste nicht, was sie tun sollte, also nahm sie meine Brüder und mich mit nach Indien.

In Indien konnte ich sogar zur Schule gehen, aber nach einem Monat gingen wir wieder zurück in den Slum in Butwal. Das war sehr schwierig für mich, ohne Vater und mit einer Mutter, die ständig betrunken war. Wir hatten nie ausreichend Essen und ich war immer hungrig. Also ging ich zurück auf die Straße. Zu dem Zeitpunkt muss ich etwa 4 oder 5 Jahre alt gewesen sein. Tagsüber bettelte ich, und nachts schlief ich in verlassenen Bussen oder unter Trucks. Die anderen Straßenjungs brachten mir bei, wie man Leim inhaliert um high zu werden. Dann lernte ich Manoj kennen, und wir wurden beste Freunde. Zusammen sind wir abgehauen in die nächste größere Stadt, zwei bis drei Busstunden entfernt. Dort haben wir gemeinsam gebettelt, und nachts haben wir uns gegenseitig warm gehalten. Später sind wir weiter nach Paalpa gezogen, wo wir wiederum gebettelt und Drogen genommen haben. Dort wohnten wir in einem abgestellten Traktor.

Eines Tages kam ein Mann zu mir und fragte mich, ob ich gerne mit ihm nach Pokhara gehen würde. Er war nett zu mir und gab mir Reis und Milch, deshalb ging ich mit ihm mit, obwohl ich nicht mal wusste wo Pokhara liegt. Der Mann wollte mich zu seinem eigenen Haussklaven machen, aber ich konnte weglaufen. Da ich so klein und verloren aussah, griff die Polizei mich auf, und ich verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Dann irrte ich verloren in den Strassen herum. Ich kannte keinen einzigen Menschen in Pokhara. Als es Abend wurde traf ich auf einen Jungen der am Leim Inhalieren war. Er war zwar nicht bereit seinen Leim mit mir zu teilen, aber er erlaubte mir, die Nacht bei ihm und seinen Freunden zu bleiben. Also blieb ich dort. Nicht nur die eine Nacht, sondern viele Tage und Nächte. Tagsüber suchten wir nach essbarem Müll und inhalierten Leim, und nachts schliefen wir auf dem Gelände des Schrotthändlers.

Die ersten Monate auf der Straße war die härteste Zeit meines Lebens: Es war extrem schwierig genug Essen zu finden und alleine klar zu kommen. Wenn ich mich heute daran zurück erinnere, dann kommen mir immer noch die Tränen. Aber langsam gewöhnte ich mich an diese Art Leben. Jeden Tag traf ich neue Freunde. Ich lernte, wie man sich am Tag etwas Geld verdienen konnte in dem man Müll sammelte und diesen wieder an die Schrotthändler verkaufte. Von dem Geld kaufte ich Leim. Obwohl ich zu Anfang furchtbar husten musste brachten meine Freunde mir geduldig bei, wie man raucht. Die schlimmsten Nächte waren die, in denen die Polizei uns fand und uns jeden Verbrechens beschuldigte das passiert war. Sie haben uns oft zusammengeschlagen. Das war mein Leben.

Ich mochte die Freiheit, die dieses Leben mit sich brachte. Wenn unsere Arbeit getan war, liefen wir durch die Straßen und taten was auch immer wir wollten. Wir spielten, inhalierten Leim, und machten einfach das, worauf wir Lust hatten. Wir fühlten und als Könige der Strasse.

Eines Tages brachte mich einer der anderen Jungen in die Straßenküche von Himalayanlife. Ich mochte es sehr, wie die Frauen die dort arbeiteten sich um uns gekümmert haben, wie sie mit uns gesprochen und Zeit verbracht haben.

Später kam ich in das Indreni, die Notunterkunft für Straßenkinder von Himalayanlife. Ich habe es sehr genossen mit den Mitarbeitern dort zu spielen. Zum ersten Mal habe ich mich richtig wertvoll gefühlt. Es hat lange gedauert bis ich es geschafft habe nicht mehr zu fluchen. Ich war mir nicht bewusst, was man sagen kann und was nicht. Niemand hat es mir beigebracht.

Heute wohne ich zusammen mit vielen anderen ehemaligen Straßenjungen im „Street to School home“ von Himalayanlife. Ich gehe zur Schule, und ich mag es zu lernen und mit meinen Freunden zu spielen.

Eine der härtesten Erinnerungen in meinem Leben ist das Wiedersehen mit meiner Mutter vor einigen Monaten. Ich hatte den starken Wunsch sie wiederzusehen, mit ihr zusammen zu sein und ihr zu zeigen wie sehr sich mein Leben verändert hatte. Als ich sie antraf war sie so betrunken, dass sie mich zunächst nicht erkannte. Schließlich begriff sie, wer ich war, aber es hat sie nicht interessiert. Sie hat mich weggeschickt. In ihrem Leben gibt es keinen Platz für mich. Das war hart.

Wenn ich heute zurück gucke tut es weh mich an all die schlechten Dinge zu erinnern, die ich getan habe. Mein Lieblingsmensch ist KB Sir (einer der Mitarbeiter von Himalayanlife, der im Indreni arbeitet). Am liebsten möchte ich genauso sein wie er.

Wenn ich etwas an mir ändern könnte würde ich gerne weniger schnell explodieren wenn mir etwas nicht passt.

Wenn ich groß bin möchte ich Arzt werden. Ärzte machen gute Sachen und helfen Menschen gesund zu werden. Mein großer Wunsch ist es auch, den Menschen in den Slums zu helfen und ihnen beizubringen was richtig und was falsch ist.

Ich weiss, dass ich es alleine nie und nimmer geschafft hätte, von der Strasse und den Drogen loszukommen. Ich bin dankbar, dass die HimalayanLife Mitarbeiter sich um mich kümmern, und dass Gott mir immer hilft Ich bin. Mein Leben hat so schlecht angefangen. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass mein Leben mal so gut werden könnte wie es jetzt ist. Dafür bin ich sehr dankbar.

Parbinder’s Leben hat eine Wendung genommen, weg von einem Leben auf der Straße und hin zu einem Leben mit Wertschätzung, Liebe, Vergebung, Zugang zu Bildung und eigenen Lebensträumen.

Werden sich diese Lebensträume erfüllen?

Wird Parbinder die Gelegenheit bekommen, mit seinem Leben das Leben anderer Menschen positiv zu verändern?

Wir beten dafür.

Peter Schaeublin2017